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IGNORIERT

Harte Ziele - Der ultimative John Woo-Post


Master Kenobi

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Hallo,

ich will mal ein paar Worte zu "Harte Ziele" verlieren, da er mein Lieblings-Actionfilm ist. Weder "Stirb Langsam", noch "Predator" oder "Terminator 2" kommen meiner Meinung nach ansatzweise an dessen Magie heran. Der Workprint ist noch länger und härter als die Unrated Fassung der Bluray aber nicht unbedingt besser, dennoch sollte man ihn mal gesehen haben. Mich stört das auch nicht, da der Workprint obgleich blutiger und länger genauso gedehnt und selbstverliebt wie "Hard Boiled" rüberkommt. Die Unrated Version ist John Woos bevorzugte Version, schnell, knochentrocken und auf den Punkt gebracht - ein klarer Schnitt zu seinem früherem teilweise recht alptraumhaften Stil.

Wer wie ich John Woos Hongkong-Meisterwerke wie "The Killer", "Bullet In The Head" oder "Hard Boiled" auswendig kennt, der wird die erste Hälfte von "Harte Ziele" schnell verfluchen. Die üblichen Mechanismen der Traumfabrik absorbieren Woos poetisch-spontanen, visuell einmaligen Stil und machen etwas Profanes, fast schon Dummes daraus. Zum Glück retten ausführender Produzent Sam Raimi, dessen selbstablaufender Stil wie bei "Evil Dead" oder "Darkman" klar zu erkennen ist, Kameramann Russell Carpenter ("True Lies") und Musikguru Graeme Revell ("Strange Days", "The Crow") die ersten 45 Minuten, die ich einfach mal als jazzigen Vorlauf zu der grössten, jemals inszenierten Actionoper ansehe, nämlich dem nicht endend wollenden Showdown im Freien.

Kaum lässt Emil Fouchon seine gnadenlosen Häscher im Wald die Jagd antreten, zündet Woo ein kompromissloses State of The Art-Actionfeuerwerk, das einen einfach nur jubilieren lässt, weil es so unglaublich "larger than life" ist. Wer wie ich Woos fast zu detailverliebte Hongkongopern rauf und runter gesehen hat, landet plötzlich unversehens im letzten Akt, der Konfrontation mit dem Unbekannten.

Und das versteckt in einem Jean-Claude Van Damme Film, mit strunzdummen C-Drehbuch, eindimensionalen Charakteren und der üblichen Hollywood-Schablone, die jegliche Individualität eines Filmzuschauers ignoriert, fast schon negiert. Macht nichts, denn Woo stellt sich über das Gesetz und das ist der Schlüssel zu der Magie hinter den Shootouts, Zeitlupen, fliegenden Tauben, Explosionen und Martial Arts-Einlagen: er streicht die Handlung einfach und ersetzt sie durch eine Einer-gegen- alle-Nonstop-Killcountrakete, ästhetische Todesballette und mythische Zauberei mit eingeschlossen.

Paul Verhoeven hat über "Robocop" gesagt, dass er Christus mit einer Pistole inszeniert hat, Woo hat ihm zwei gegeben. Überall sind religiöse Referenzen zu finden, selbst in so simplen Szenen, in denen Van Damme auf einem Fabeltier sitzend sich selbst in die Hölle hinablässt, einem abstrakten Schlüssel gleich kopfüber in der Luft schwebt oder die Schrotflinte auffangend in Zeitlupe die Sphäre des Jetzt verlässt.

Woo spielt ein letztes Mal Gott und interpretiert alles, so wie jemand, der in den Slums aufgewachsen, mit asiatischer Kampfkunst grossgeworden und Tanz studiert hat, aber nicht mehr wie in Hongkong ohne irgendeinen Plan ans Set kommen, alles spontan inszenieren und die Produzenten damit in den Wahnsinn treiben darf. Die sich herauskristallisierende Quintessenz: es bleibt keine Zeit mehr. Weder für Woo am Set, noch für seinen Protagonisten im Kampf auf Leben und Tod. Die zweite Hälfte ist wie eine einzige Abrechnung, die Rechnung wird zum Schluss präsentiert.

Das überragende Sound tut sein übriges. Wer wie ich ein ein Heimkino hat, weiss bestimmt was gemeint ist: jede Waffe und jede Explosion klingt unverwechselbar, manche Schüsse werden mit Bass unterlegt, andere sphärisch dreidimensional projiziert, so dass sie zu einem zusätzlichen, unsichtbaren Darsteller hochstilisiert werden. Man merkt der Filmcrew die bedingungslose Verehrung von Woos früheren Filmen jederzeit an, der am Set vieles nonverbal lösen musste, da er der englischen Sprache noch nicht mächtig war.

Nonverbalität ist im übrigen der Schlüssel zu der zweiten Hälfte des Films; oft fallen kaum bis gar keine Worte. Manch einer wie das Lexikon des internationalen Films, hat dies verteufelt - ich zitiere: „Ein lediglich an der Vorführung ausgeklügelter Tötungsarten und neuester Handfeuerwaffen interessierter Actionfilm[...]". Da ist das katholische Filminstitut, das dieses Lexikon vertreibt, mit der radikalen Neuinterpretation geistlicher Inhalte wohl nicht zurechtgekommen, denn hier wird das Zepter selbst in die Hand genommen, spielerisch zu ungeahnter Grösse gefunden.

Ich muss an dieser Stelle einen kleinen Exkurs machen. In Filmen wie in der bildenden Kunst steht etwas stellvertretend für etwas, es ist niemals das Ding selbst. Eine Pistole im echten Leben ist schwer, hart und fürchterlich laut, wenn sie in einem Film auftaucht, ist sie meist entweder etwas Bedrohliches oder kathartisch Erlösendes. Glänzend wie ein Schwert im Mittelalter, richtungsweisend wie die Verlängerung eines Armes, sexy wie das was Männer zwischen den Beinen haben. Woo geht noch einen Schritt weiter und macht daraus sogar so etwas wie Liebesobjekte. Und genau das ist der schmale Grat zwischen Genie und Wahnsinn, der mich an ihm schon immer fasziniert hat. Zu fröhlicher Sixties-Musik schlachten sich in "Bullet In The Head" Jugendbanden mit Schlagringen und Holzbrettern ab, buddhagleich rafft Chow Yun Fat in "Hard Boiled" unzählige Gangster dahin.

Jeder, der schon einmal eine obsessive Beziehung geführt hat, die sich zum Schluss als Irrtum herausgestellt hat, weiss, dass die Grenzen zwischen Liebe und Hass fliessend sind, dass das, was man für Liebe gehalten hat, sich oft als das genaue Gegenteil herausgestellt hat. Und genau von diesem Irrtum geht Woo aus. Voll inbrünstiger Liebe wird geschlagen, geschossen und gestorben, kein Bösewicht ist vor den tiefenentspannten, ikonenhaften Antihelden sicher.

Ein Fest für jede Zensur, denn Gut und Böse ist nun mal festgelegt und sollte strikt eingehalten werden. Dualität der Seele, Kunst, die der Bewusstwerdung dient? Nein, natürlich nicht. "Harte Ziele" ist von der FSK als "strafrechtlich unbedenklich" freigegeben worden. Der Staat hält einen Grossteil des Volkes immer noch für wilde Tiere. Das fing bei Goyas Gemälden an, bei denen die nackten Brüste verdeckt wurden, da Männer ansonsten hemmmungslos über Frauen hergefallen wären und hört bei Meisterwerken wie "Braindead" und "Story of Ricky" auf, die verboten und dessen Verkauf strafbar ist. Dass wir im 21. Jahrhundert leben, und ein Grossteil unserer Handlungen nur noch virtuell sind, fällt dem Gesetzgeber ebenso wenig auf, wie die psychologisch wertvolle Katharsis. Der wichtigste Aspekt wird übergangen, nämlich Bewusstwerdung.

Filme sind wie Träume, haben keine wirkliche Logik. Mal fliegt man durch die Lüfte, dann ist man plötzlich völlig woanders und in der Ferne schreit ein Kind. Nach so einem Traum hat sich etwas in einem geändert, man "weiss" etwas. Filme sind Träumen verwandt, wenn man sie auch im Laden kaufen, vor- und zurückspulen oder immer wieder sehen kann. Auch nach dem Sehen eines Films "weiss" man etwas, auch wenn man manchmal in hundert Jahren sich nicht sicher ist, worum es sich handelt. Künstler wie Woo handeln dabei manchmal so unverantwortlich wie ein kleines Kind, das ein Bild malt, müssen dies sogar tun, wenn sie dem unbestimmten Etwas, dass sie den Film drehen liess, wirklich nachgehen wollen.

An dieser Stelle muss ich mit meinem Review von "Hard Target", wie er im Original heisst, abrupt zum Schluss kommen. "Ich könnte dir alles erklären. Aber würdest du es auch verstehen?", heisst es in Castanedas "Die Lehren des Don Juan". Ähnlich ironisch sind die mythisch überhöhten Jahrhundertszenen in der Karnevalsfabrik am Ende von "Harte Ziele" angelegt. Jeder der Woo kennt, weiss, dass sein Stil kompromisslos und ultrabrutal ist, trotzdem kann man nicht anders, als seine Filme zu lieben. Und sowas ist meiner Meinung echte, aufrichtige, wenn auch meist dem männlichen Geschlecht vorbehaltene Liebe. Irgendein Ami hat mal gesagt: "John Woo's movies are overdone", womit er auf das wiederholte Ansehen von Woos Filmen anspielt. Auch das stimmt, ist eine Ansicht, der ich mittlerweile voll und ganz zustimme. Was tut sich also neues am Shootout-Horizont? Mir fällt dazu nur die Szene aus "Die Bourne Verschwörung" ein, in der Bourne seinen Gegner entwaffnet und die Pistole im Bruchteil einer Sekunde zerlegt und wegwirft. Die einfachen Dinge im Leben...

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